Zur Geschichte des Obstbaus und der Streuobstwiesen

Die alten Kelten und Germanen sammelten noch Wildobst, das sie vereinzelt schon in Siedlungsnähe anbauten. Den gezielten Obstbau brachten im 1. Jahrhundert die Römer nach Germanien. Den hoffnungsvollen Anfängen machte aber die Völkerwanderung ab dem 3. Jahrhundert rasch ein Ende. Erst Karl der Große gebot 812 in seinen Krongütern wieder den Anbau von Obstarten, darunter von vier Apfelsorten.
Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts dehnte sich der Obstbau dann in Klostergärten, Gärten Adeliger und schließlich auch städtischer Bürger aus; in der freien Landschaft gab es damals noch keinen Obstbau. Die Verwüstungen im 30jährigen Krieg machten erneut alles zunichte. Mit Herzog Karl Eugen von Württemberg, Markgraf Karl Friedrich von Baden und König Friedrich dem Großen von Preußen begann dann im ausgehenden 18. Jahrhundert durch die Einrichtung von Baumschulen, Anbaugeboten und der Ausbildung von Baumwarten die Anlage von Obstäckern, Obstwiesen und Obstbaumalleen. Johann Caspar Schiller, der Vater des Dichters Friedrich Schiller, Hauptmann und Hofgärtner Herzog Karl Eugens, hatte um 1785 in seiner Obstbaumschule auf der Solitude 224.000 Bäumchen stehen zur Verteilung im Land.
Zwischen 1800 - 1900 wurde besonders von König Wilhelm I. von Württemberg der Hochstammobstbau auf Äckern und Wiesen zur Obernutzung und Unternutzung gefördert. 1860 gründete Eduard Lucas, Leiter der Gartenbauschule in Hohenheim, den Deutschen Pomologenverein (lateinisch poma = Obst), und 1880 wurde der Württembergische Obstbauverband gegründet. Als Folge der Reblauskatastrophe kam es im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einer Ausdehnung des Obstbaus, da Most den fehlenden Wein ersetzte, und verödete Rebflächen zu Obstbauflächen umgewidmet wurden. Auch der Tafelobstmarkt wuchs. Um 1930 hatte der Obstbau seine größte Ausdehnung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Erwerbsobstbau mit Niederstammanlagen gefördert und der Streuobstbau mit Hochstämmen ging ständig zurück. Wurden in Baden-Württemberg 1965 noch 19 Millionen Streuobstbäume gezählt, waren es 1990 mit nur noch 11,4 Millionen auf etwa 160.000 Hektar 40 % weniger. Leider liegen neuere Erhebungen nicht vor, obgleich sie dringend nötig wären, weil sich seit 1990 Siedlungs- und Verkehrsflächen weiter tief in die Streuobstwiesen hineingefressen haben. Dazu gingen mangels Pflege und Überalterung große Flächen verloren. Denn der Streuobstbau lohnt sich nicht mehr. Deshalb kann die aufwändige Pflege der Bäume zur Erhaltung des Landschaftsbilds, zum Naturschutz und zur Naherholung den Besitzern auch nicht abverlangt werden. So verschwinden die Streuobstwiesen und Obstbaumalleen, Nahrungsmittelproduzenten und Kulturgut, still und leise immer mehr. Dies halten auch zahlreiche Initiativen sowie gewisse staatliche Fördermittel kaum auf. Einfache Rechnungen machen das verständlich (Anmerkung: Die Kostenangaben ohne Mehrwertsteuer stammen von einer hiesigen Firma):
Plieningen hat schätzungsweise noch 60 ha und Birkach knapp 20 ha Streuobstwiesen sowie an Straßen einige Obstbaumalleen. Geht man im Mittel von den etwa 70 Bäumen pro Hektar in Baden-Württemberg aus, sind das auf den zusammen 80 ha unseres Stadtbezirks, die Alleenbäume eingerechnet, etwa 5600 Hochstammbäume abzüglich 30 %, siehe nachfolgend. Rechnet man zurückhaltend nur 50 Euro für einen ersten Pflegeschnitt mit Häckseln des Schnittguts pro Baum - der junge Baum und der 15 m hohe Veteran, zu dessen Pflege man einen Steiger braucht, gemittelt - so kommt man schon auf eine Leistung im Gegenwert von knapp 200.000 Euro.
Nach zurückhaltender Schätzung sind mindestens 30 %, d. h. rund 1700 Hochstämme, abgängig und zu ersetzen. Für das Fällen eines Baums, die Entfernung der Wurzel mit Fräße, das Häckseln des Schnittguts und die Abfuhr des Holzes sind selbst als Großaktion verbilligt gerechnet mindestens 150 Euro anzusetzen, und die Neupflanzung kostet pro Baum runde 65 Euro.
Eine solche Aktion entspricht somit einer Leistung von gut 360.000 Euro. Eine Sanierung der 80 ha käme somit insgesamt auf weit über eine halbe Million Euro. Solchen Leistungen steht, wie eine Anfrage im Landtag von Baden-Württemberg 2004 ausweist, im 20jährigen Mittel ein Mostobstpreis von 7,50 Euro pro Dezitonne Äpfel gegenüber, aber erst ab etwa 20 Euro ergäbe sich ein hinreichender Deckungsbeitrag. Angesichts dieser wirtschaftlich unbefriedigenden Situation sollte man sich im Bemühen um den Erhalt der Streuobstwiesen überlegen, wie, wo und in welchem Umfang diese noch nachhaltig gepflegt werden können. Denn dass Streuobstwiesen eine Kostbarkeit sind, die bestmöglich erhalten bleiben sollte, steht außer Zweifel.
Setzen wir uns deshalb für ihre Erhaltung ein, und freuen wir uns auf die herrliche Obstbaumblüte im nahenden Frühjahr und die leuchtend gelben und roten Birnen und Äpfel im Herbst.

Prof. Dr. Dr. hc A. M. Steiner