Gedanken zur Zukunft der Streuobstwiesen Streuobstwiesen sind eine junge Kulturform. Ihr langsamer Aufstieg begann um 1800, ihr rascher Niedergang um 1950. Gleichwohl entwickelten sich die Streuobstwiesen in den etwa 100 Jahren ihrer Blütezeit zu einem das Landschaftsbild prägenden Element und einem Brennpunkt ökologischer Vielfalt. Bis zu 450 Pflanzen- und 3.000 Tierarten bieten sie Lebensraum. Dazu sorgen sie für Klimaausgleich, Boden- und Wasserschutz. Nachdem die Streuobstwiesen als Nahrungsmittel-, Futter- und Holzproduzenten nicht mehr rentabel sind, machen die ökologischen und ästhetischen Eigenschaften ihren Wert aus, sie dienen dem Naturschutz und der Landschaftspflege. Deshalb versuchen zahlreiche Initiativen zu retten, was noch zu retten ist. Hier sind Pflanzaktionen preiswert, pressewirksam und deshalb beliebt. Leider sind sie aber oft wenig erfolgreich, denn häufig fehlt es gleich danach schon an der Pflege. Ohne Baumscheibe droht Mäusefraß, Wasser- und Nährstoffkonkurrenz. Bei Trockenheit ist zu gießen, und ohne Düngung stockt das Wachstum. Ein sachkundiger Aufbauschnitt in den ersten 10 Jahren ist unerlässlich. Bei Pflanzaktionen des "Stuttgarter Apfelsaft" wird löblicherweise eine 5-jährige Pflege versprochen. Gut, wer aber pflegt den bis zu 15 m hohen Apfelbaum die danach kommenden 80 Jahre und den bis zu 20 m hohen Birnbaum die danach kommenden 120 Jahre? Das ist die entscheidende Frage! Doch hier wartet man vergebens auf eine verlässliche Antwort. Wie viele haben heute überhaupt noch die erforderlichen Pflegekenntnisse und bringen die körperlichen Voraussetzungen mit? Denn Baumpflege ist harte Arbeit und unfallträchtig. Auch zur Obstverwertung stellen sich Fragen: Wie weit liegt die nächste der in Baden-Württemberg verbliebenen etwa 100 Keltern entfernt? Wer hat noch einen Keller, um Most, Äpfel und Birnen lagern zu können? Wer dünstet noch ein, macht Dörr- und Backobst und bäckt und kocht Obstspeisen im Zeitalter der Single- und Doppelverdienerhaushalte mit Fast-Food? Der Bratapfel im Mikro? Wahrlich, das Konsumverhalten änderte sich: Früchte aller Art aus aller Herren Ländern nach Qualitätsstandards sortiert ganzjährig frisch in kleinen Portionen, verschiedenste Fruchtsäfte importiert, preiswert und einwandfrei, schmackhaftes Dörrobst aus sonnenverwöhnten Ländern und Obstschnäpse sortentypisch und billig von überall her: Alles im Supermarkt. Auch der Gras- und Holzschnitt der Streuobstwiesen wird kaum noch gebraucht. Aus der ländlichen Tierhaltung wurde die Massentierhaltung, den Ofen ersetzten die Öl- oder Gasheizung. Was wird nun aus den Streuobstwiesen? Betrachten wir zum Vergleich eine andere, weit ältere Kulturform, die bisher ebenfalls unser Landschaftsbild prägenden und ökologisch wertvollen Wacholderheiden. Sie entstanden im Mittelalter als Folge intensiver Wanderschäferei. Schon im 19. Jahrhundert ging die Schäferei zurück, weil Fleisch- und Wolleimporte billiger waren. Damit begann die Auflassung, Verbuschung und schließlich Verwaldung großer Heideflächen. Im Regierungsbezirk Stuttgart nahm die Heidefläche zwischen 1900 und 1990 um 75 % auf knapp 3000 ha ab. Im Regierungsbezirk Tübingen bestand 1982 die verbliebene Fläche von 3300 ha zu 80 % aus Inseln kleiner 5 ha. Viele Restflächen werden ehrenamtlich vom Schwäbischen Albverein künstlich frei gehalten. Das ist verdienstvoll, aber nur Kosmetik. Denn wo der Schäfer mit seiner Herde nicht befährt, erhalten sich keine echten Wacholderheiden. So bleiben langfristig nur dort Heidereste erhalten, wo die Schafhaltung regional klug vermarktet wirtschaftlich ist, oder aber zur Erhaltung des Landschaftsbilds gefördert wird. Ähnlich wie den Heiden ergeht es wohl den verbliebenen Streuobstwiesen. In Stadtnähe werden sie weiter Bauland oder zusammen mit den älteren Obstbaufreunden langsam das Zeitliche segnen, denn nur rund 10 % der Streuobstbäume sind jünger als 50 Jahre. In ländlichen Gebieten mit geringerer Bautätigkeit und Verdienstmöglichkeit wird diese Entwicklung langsamer verlaufen. Doch mit den Bauern, den Höfen und den ländlichen Dorfgemeinschaften werden auch dort die Streuobstwiesen lautlos verschwinden. Allein in Regionen, wo noch ein Eigenbedarf besteht, wo Streuobstinitiativen aktiv sind, und der Verbraucher die Mehrkosten der Aufpreisvermarktung in Kauf nimmt, werden sich Streuobstwiesen halten. Sicherlich werden in Siedlungsnähe öffentlich gefördert Baumgruppen oder -reihen neu gepflanzt und gepflegt werden. Wie bei den Wacholderheiden werden aber überwiegend Restflächen verbleiben. Doch Flächen kleiner 10 ha sind ökologisch nicht mehr vollwertig, sie werden Zier, wehmütige Erinnerung. Ferner ist angesichts der langen Standzeit heute gepflanzter Hochstämme zu bedenken, dass schon 2050 in Deutschland statt 82 Mio nur noch etwa 70 Mio Menschen leben werden, die Hälfte davon älter als 55 Jahre und immer weniger im ländlichen Raum. Dabei wird die Zahl der Menschen im Erwerbsalter von heute 50 Mio um 11 -15 Mio abnehmen. Wer soll dann die Streuobstwiesen pflegen, zumal die Klimaerwärmung jetzt schon Krankheiten und Schädlinge des Obstbaus begünstigt? Übrigens, nach den Wacholderheiden und den Streuobstwiesen, neuerdings nehmen im Weinbau die Brachen zu, insbesondere die historischen, das Landschaftsbild prägenden Steillagen gehen verloren. Auf breiter Front, der Wald holt sich sein angestammtes Land zurück. Prof. Dr. Dr. hc A. M. Steiner |
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